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Der Globalisierte Dorfbankier

Der Globalisierte Dorfbankier

Ökonom, Banker, Armutsbekämpfer und in gewissen Kreisen ein Superstar: Friedensnobelpreisträger Muhammad Yunus
30. November 2009 Es sind diese zwei Minuten vor dem Beginn des Dinners. Fast ein bisschen verloren steht Muhammad Yunus vor dem Bankettsaal. Es ist eine seiner Deutschlandreisen, er hat schon etliche Reden hinter sich und soll als Nächstes mit ausgewählten Studenten, Professoren und Wirtschaftsvertretern zu Abend essen. Eine Studentin eilt auf ihn zu und verwickelt ihn in ein Gespräch: „Herr Yunus, was ich Sie schon immer mal fragen wollte ...“ Er lächelt milde und beginnt eine ausführliche Antwort, während er neben der Studentin hergeht, hinein in den Dinner-Saal, mit zu ihrem Tisch. So lange, bis eine Agentin ihn sanft beim Ellenbogen packt. „Sir“, sagt sie mit Nachdruck, „Sir, Sie können hier nicht sitzen, Sie müssen dort drüben sitzen, bei den wichtigen Leuten.“ „Nie darf ich bei den netten jungen Damen bleiben.“ Yunus deutet einen Schmollmund an. Mit kokettem Augenaufschlag lässt er sich an den richtigen Tisch führen. Zurück bleibt die Studentin, selig lächelnd: „Er wollte tatsächlich mit mir zu Abend essen!“, murmelt sie fassungslos.

Muhammad Yunus, der Friedensnobelpreisträger aus dem Jahr 2006, hat eine erstaunliche Karriere vom Wirtschaftsprofessor zum Pop-Ökonomen gemacht. Wann immer er in Deutschland auftaucht, findet er sich inmitten einer bunten Fangemeinde wieder. Oft sind es junge, gut ausgebildete Menschen, häufig Wirtschaftsstudenten, die ihn anhimmeln. Ausgerechnet ihn, den kleinen, grauhaarigen, mittlerweile 70 Jahre alten Mann aus Bangladesch, der am liebsten Schlabberhosen und knielange traditionelle Gewänder trägt.


Eine einzige Idee
Es ist eine einzige Idee, die Yunus diesen ganzen Ruhm eingebracht hat: die Idee, armen Leuten mit geringen Sicherheiten zu üblichen Konditionen Geld zu leihen. Dass seine Mikrokredite funktionierten, dass die armen Kunden seiner „Grameen Bank“ die Darlehen zuverlässig zurückzahlten, dass Yunus ihnen teilweise aus der Armut heraushalf und gleichzeitig, statt Geschenke zu verteilen, nach marktwirtschaftlichen Prinzipien handelte – all das brachte ihm nicht nur den Friedensnobelpreis ein. Seine Idee weckt Begeisterung quer über ideologische Grenzen hinweg: unter Professoren wie Entwicklungshelfern, bei Nichtregierungsorganisationen wie auch in der FDP. Um zu verstehen, warum ausgerechnet Muhammad Yunus auf diese Idee kam, gibt es eine lange und eine kurze Geschichte.
Die kurze geht so: Yunus, damals Wirtschaftsprofessor in Bangladesch, unternahm im Jahr 1976 mit seinen Studenten eine Exkursion aufs Land. Sie wollten die Armut erforschen. Dafür wollten sie ihr ins Gesicht sehen. Während dieses Ausflugs kam Yunus mit einer Frau namens Sufiya ins Gespräch, die einfache Bambushocker herstellte. Um den Bambus einkaufen zu können, lieh sie sich Geld von einem privaten Geldverleiher, der Wucherzinsen von bis zu 10 Prozent je Woche nahm. Sie hatte keine Alternative, galt als nicht kreditwürdig, konnte nicht lesen und schreiben und wusste gar nicht, was eine Bank überhaupt war. Der Gewinn aus dem Korbstuhlgeschäft wurde quasi komplett von den Zinsen aufgefressen. In der näheren Umgebung fanden Yunus und seine Studenten 41 weitere Landfrauen, denen es ähnlich erging. Yunus lieh ihnen rund 27 Dollar aus eigener Tasche. Zu seiner Überraschung zahlten alle den Kredit schnell zurück – und machten trotzdem weit mehr Gewinn mit ihrem Korbwebergeschäft als zuvor. Aus diesem Experiment heraus schuf Yunus sein Konzept vom „Kleinstkredit“ und seine Mikrokreditbank „Grameen Bank“, die seither Tausenden bedürftigen Menschen aus der Armut herausgeholfen hat.

Martin Luther King als großes Vorbild

Die lange Version der Geschichte beginnt ebenfalls in einem Dorf in Bangladesch. Es heißt Bathua und gehörte 1940, als Yunus dort geboren wurde, noch zum britisch regierten Indien. Die Familie Yunus war verhältnismäßig wohlhabend, der Vater arbeitete als Goldschmied und konnte seinen neun Kindern eine ordentliche Schulausbildung finanzieren. Als Yunus sieben Jahre alt war, erlebte er die Unabhängigkeitsbewegung. „Wir Kinder schauten uns alle Demonstrationen an und ahmten die Slogans nach. Wir dachten, mit der Unabhängigkeit von den Briten käme das Ende der Armut. Dann wurde ich älter und älter, aber das Ende der Armut kam und kam nicht.“ Das sei der Grund gewesen, warum er Ökonomie studierte, sagt Yunus heute.
Nach seinem Studium in Dhaka ging Yunus 1966 nach Amerika, um zu promovieren. „Am Anfang war dieses Land ein einziges Fragezeichen für mich“, erzählt er. „Ich stellte mit Erstaunen fest, dass die Schwarzen nicht die gleichen Toiletten benutzen durften wie die Weißen und dass sie im Bus woanders sitzen mussten. Und das im reichsten Land der Welt, in dem ich nur Freiheit und Gerechtigkeit erwartet hatte.“ Martin Luther King wurde ihm zum großen Vorbild. „Von ihm nahm ich das Gefühl mit, dass auch die Armen und Unterdrückten aufstehen und etwas erreichen können.“
Wer Yunus nach seinen sonstigen Eindrücken vom damaligen Amerika befragt, bekommt viel über die Hippie-Bewegung zu hören. Wie er „verloren, aber fasziniert“ auf den Partys seiner Kommilitonen in der Ecke saß und sich an sein Getränk klammerte („Ich hatte panische Angst, jemand könnte mir Drogen hineinkippen“). Wie er mit Verwunderung feststellte, „dass diese Hippies alle wer weiß wie reich waren, aber so taten, als seien sie bettelarm“. Eine verkehrte Welt sei das gewesen, sagt Yunus heute, doch letztlich habe sie viel in ihm bewirkt. Dass er der Korbflechterin Sufiya einen Kredit gab, dass er seine Dorfbank erfand und bei der Regierung eine Lizenz dafür durchsetzte – all das sei nur möglich gewesen, weil er in Amerika gesehen habe, „wie die Armen und Entrechteten sich aufbäumten – und wie zugleich die Reichen und Schönen lebten, als besäßen sie nur ein paar Pennys am Tag“.

Die kleine Dorfbank ist längst nicht mehr klein
Mittlerweile ist die Grameen-Bank zu beachtlicher Größe angewachsen. Seit Yunus 2006 den Friedensnobelpreis erhielt, stieg die Popularität des Konzepts explosionsartig. Inzwischen hat die Bank 7,6 Millionen Kunden und ist in mehr als 83.000 Dörfern vertreten. Im Krisenjahr 2008 machte sie fast 19 Millionen Dollar Gewinn. Inzwischen sind zudem zahlreiche Nachahmerinstitute aus dem Boden geschossen. Investoren aus reichen Ländern stecken eifrig Geld in Mikrofinanzanlagen. Das birgt auch Gefahren: Schon erzählt man in der Branche beunruhigende Geschichten aus indischen Slums, in denen mehrere Kreditanbieter zugleich unterwegs sind. Die Slumbewohner können so bei einer Mikrobank Geld leihen, um ausstehende Schulden bei einer anderen zu bezahlen. Stoff, aus dem Finanzmarktblasen sind.
Das Wort „Mikrokreditblase“ nimmt Yunus selbst nicht in den Mund. Doch ist auch er dazu übergegangen, in all den unzähligen Reden, die er in unzähligen Ländern der Welt zum Besten gibt, die „schwarzen Schafe“ der Branche anzuprangern. Meist fällt seine Kritik eher im Nebensatz; lieber spricht er über die schillernden Anfänge seiner Bewegung. Wer versucht, mit ihm über den heutigen Zustand der Mikrofinanzbranche zu diskutieren, erntet meist ein fast priesterhaftes Lächeln und den freundlichen Hinweis, dass doch einfach alle Institute so gewissenhaft handeln sollten wie seine Grameen Bank – „dann gäbe es auch keine Probleme“.

„Dieses Blitzen in den Augen“

Längst ist der Nobelpreisträger Yunus zum PR-Experten Yunus geworden, der durch die Welt tourt und ähnliche Sprüche in verschiedenste Kameras sagt. Unermüdlich gibt er seinen Namen und sein Gesicht für die verschiedensten Projekte her, die mit sozialem Unternehmertum in Verbindung stehen. Auch deutsche Unternehmen versuchen ihren Teil abzubekommen von dem guten Image, das er überträgt. Kürzlich hat der Versandhändler Otto ein Joint Venture mit der Grameen-Bank bekanntgegeben, um eine Art „Soziale Textilfabrik“ ins Leben zu rufen. Adidas hat eine Absichtserklärung unterschrieben, in einem Pilotprojekt Turnschuhe herzustellen, die für die arme Bevölkerung erschwinglich sind. BASF will Moskitonetze nach Bangladesch liefern. Koordiniert werden die deutschen Sozialunternehmerprojekte von einer extra geschaffenen Beratungsfirma namens „Grameen Creative Lab“. Viele attraktive junge Damen arbeiten für dieses Yunus-Vermarktungsunternehmen. So professionalisiert sich die Fangemeinde des Nobelpreisträgers langsam, aber stetig.
Völlig gefeit vor kleinen Yunus-Schwärmereien sind aber auch die Profi-Vermarkterinnen nicht. „Dieses Blitzen in den Augen“, schwärmt eine „Creative-Lab“-Mitarbeiterin nach einem Treffen mit dem Chef. Ihre Kollegin ergänzt: „Wir nennen das hier ,Y-Vi‘ – das bedeutet ,Yunus-Virus‘.“ „Ansteckender als die Schweinegrippe“, sagt die andere Kollegin. Dann verfallen sie in mädchenhaftes Gekicher.
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Zur Person

- Muhammad Yunus wird 1940 in einem Dorf nahe der Hafenstadt Chittagong im heutigen Bangladesch geboren.
- 1961 schließt er sein Studium der Wirtschaftswissenschaften an der Universität Dhaka ab. 1965 geht er nach Amerika und promoviert. Bis 1972 arbeitet er als Assistenzprofessor in Tennessee.
- Nach seiner Rückkehr in die Heimat beginnt er 1976 damit, Kleinstkredite an arme Bevölkerungsschichten zu vergeben. 2006 erhält er für die von ihm gegründete Grameen Bank den Friedensnobelpreis.
Text: F.A.Z.
Bildmaterial: AFP, Andreas Pein / F.A.Z., AP, ddp, dpa, REUTERS, Yunus Centre

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